Idar-Oberstein und die Auswanderung nach Brasilien

Im dritten Teil meiner kleinen Serie über die Geschichte der deutschen Edelsteinstadt Idar-Oberstein erzähle ich Ihnen, wie Idar-Oberstein von einem Fundort für Steine zu einem Zentrum des weltweiten Edelsteinhandels wurde:

Nach 1800 begannen die lokalen Edelsteinvorkommen sich zu erschöpfen. Es wurden immer weniger schleifwürdige Steine gefunden und etwa um 1850 waren es so wenige, dass sich der Abbau für gewerbliche Zwecke nicht mehr lohnte. Die Bevölkerung, teilweise wegen der Arbeit von außerhalb zugezogen, hatte keine Existenzgrundlage mehr. Es gab Not und Hunger.

So begann eine Auswanderungswelle aus Idar-Oberstein und Umgebung. Ziel war hauptsächlich Nord- und Südamerika. Für Idar-Oberstein interessant wurden die Leute, die nach Brasilien gingen. Sie packten ihre Habe auf Ochsenkarren und fuhren nach Le Havre oder Rotterdam. Dort angekommen verkauften sie den Ochsenkarren einschließlich Ochsen und erwarben mit dem Geld eine Schiffspassage. Wenn es ihnen gelang, auf dem Schiff während der Überfahrt eine Arbeit zu bekommen, umso besser. Dann stand mehr Geld zur Verfügung für den Neustart in ihrer neuen Heimat.


Der Film Die andere Heimat handelt von der damaligen Auswanderungswelle aus dem Hunsrück nach Brasilien

Angekommen bestand das Problem darin, eine Arbeit zu finden. Eine Gruppe ehemaliger Schleifer aus Idar-Oberstein konnte musizieren. Sie begannen, ihre Dienste als Musik-Gruppe anzubieten. Mit Ochsenkarren (auch hier das Haupttransportmittel) fuhren sie durchs Land und besuchten einsam gelegene Hacienden und Facienden im Landesinnern, um auf Hochzeiten und Bällen aufzuspielen.

Bei einer dieser Reisen sahen sie plötzlich mengenweise abgerundete Steine am Wegrand liegen. Die Art und Form der Steine kam den ehemaligen Schleifern bekannt vor. Als sie einen davon aufschlugen, war es ein qualitativ hochwertiger Achat. Sofort wurden die Familien zu Hause in Idar-Oberstein informiert (Das lief damals über Briefe, und die wurden per Schiff transportiert. Sie waren 4 bis 6 Monate unterwegs.)

Die Männer beluden ihren Karren mit den neugefundenen Achaten und fuhren zum Hafen. Damals gab es noch Segelschiffe, die vollbeladen von Europa nach Südamerika fuhren. Das Problem war dann für die Schiffer, dass sie für die Rückfahrt Ballast brauchten, um kein Spielball der Wellen zu werden. So waren die Kapitäne am Anfang froh, dass ihnen dieser Ballast in Form von Steinen gratis angeliefert wurde, und sie haben ihrerseits die Steine auch gratis nach Le Havre transportiert. Dort warteten schon die Idar-Obersteiner Verwandten um die Ware in Empfang zu nehmen. Sie transportierten sie dann – wieder mit Ochsenkarren – nach Hause.

Die Industrie in Idar-Oberstein nahm einen grandiosen Aufschwung. Man baute viele neue Wasserschleifen und es gab endlich wieder Arbeit. Allerdings bemerkten die Kapitäne der Segelschiffe schnell, dass sie mit diesem „Ballast“ gutes Geld verdienen konnten, und der Transport hörte auf gratis zu sein.

Die Beziehungen zwischen Idar-Oberstein und den ehemaligen Auswanderern in Brasilien ist zum Teil heute noch erhalten. Die Familienbande werden gepflegt, da ja auch jeder davon profitiert. Später entdeckte man übrigens, dass Brasilien enorm reich an Edelsteinen ist. Es gibt dort nicht nur Achate, sondern auch wertvollere Edelsteine, wie z.B. Aquamarine, Turmaline oder Amethyste. Doch das ist eine Geschichte für ein anderes Mal.

Titelfoto von Guilherme Gaensly